Was wir beim spielerischen Kämpfen lernen können

Joscha Keiling • 1. März 2023

Was macht einen Kampf spielerisch?

In diesem Artikel möchte ich die Vorteile des spielerischen Kämpfens hervorheben. Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition für spielerisches Kämpfen, daher werde ich zunächst die drei Hauptmerkmale nennen, die meiner Meinung nach charakteristisch dafür sind:


  1. Freiwilligkeit: Der Kampf beginnt freiwillig, und die Teilnehmer können ihn jederzeit beenden.
  2. Bekannte und akzeptierte Regeln: Die Teilnehmer kennen und befolgen festgelegte Regeln für den Kampf.
  3. Konsequenzverminderung: Regeln und Schutzausrüstung minimieren Verletzungsrisiken, wobei auch der Kampfraum sicher gestaltet ist.


Es kann vorkommen, dass die Teilnehmer Schwierigkeiten haben, ihre Bewegungen oder Emotionen zu kontrollieren. In solchen Fällen ist die Anwesenheit eines erfahrenen und neutralen Begleiters notwendig, der sicherstellt, dass die Regeln eingehalten werden und den Kampf bei Eskalation oder Verletzungsgefahr unterbricht.


Spielerische Kämpfe bieten intensive Erfahrungen, wobei die oben genannten Merkmale einen ausreichenden Schutz in physischer, emotionaler und rechtlicher Hinsicht bieten. Ein gewisses Restrisiko bleibt, aber es ist nicht signifikant höher als bei anderen Sportarten.


Nun zu den 8 Fähigkeiten, die durch spielerisches Kämpfen gefördert werden können. Beachte, dass diese Liste sich auf das spielerische Kämpfen im Rahmen eines umfassenderen Trainings in spielerischer Kampfkunst bezieht, mit all seinen Übungen und Spielen.


Hinweis: Beim spielerischen Kämpfen können wir gleichzeitig von „Partner:in“ und „Gegner:in“ sprechen, da die Menschen, mit denen wir Kämpfen, beide Rollen gleichzeitig einnehmen. Wenn ich im folgenden Text also „Gegner:in“ schreibe, meine ich implizit auch „Partner:in“ (und umgekehrt).


Übersicht

1. Motorik und körperliche Fitness

2. Aufmerksamkeit, Fokus und Achtsamkeit

3. Mitgefühl durch aktives Zuhören

4. Respektvoller Umgang

5. Frustrationstoleranz

6. Realistische Einschätzung der eigenen Grenzen

7. Realistische Einschätzung von körperlichen Bedrohungen

8. Angemessene Reaktionen in Selbstverteidigungssituationen

    Fazit


1. Motorik und körperliche Fitness

Beim spielerischen Kämpfen, ähnlich wie in anderen Sportarten, verbessern Menschen verschiedene motorische Fähigkeiten. Die Art des Kampfes beeinflusst, welche Fähigkeiten besonders gefördert werden. Zum Beispiel erfordert ein Kampf mit Schlägen und Tritten hohe Reaktionsfähigkeit, Hand-Auge-Koordination und die Fähigkeit, Nähe und Distanz einzuschätzen. Beim Ringen und Bodenkampf spielen Kraft-Ausdauer, Gleichgewichtssinn und Raumorientierung eine wichtige Rolle. Koordination der Bewegungen im Einklang mit dem Gegner ist entscheidend. Das Ziel ist ein effizientes Zusammenspiel der Körperteile in Verbindung mit dem Partner, was auch die Beweglichkeit und allgemeine Fitness verbessert.


2. Aufmerksamkeit, Fokus und Achtsamkeit

Beim spielerischen Kämpfen werden nicht nur körperliche, sondern auch mentale Fähigkeiten trainiert. Es erfordert allgemeine Aufmerksamkeit, besonders wenn mehrere Personen im gleichen Raum kämpfen. Die Teilnehmer müssen aufeinander achten, nicht nur auf ihren eigenen Kampf. Gleichzeitig sollten sie sich auf ihren eigenen Kampf konzentrieren, um effektiv zu kämpfen. Im spielerischen Kontext bedeutet "gut kämpfen" sowohl zu gewinnen als auch aufeinander zu achten. Es geht darum, zu gewinnen, ohne den Partner zu verletzen, und darauf zu vertrauen, dass der Partner dasselbe tut. Diese gegenseitige Konzentration und Respekt sind meiner Meinung nach einzigartig im spielerischen Kämpfen und nicht so intensiv in anderen Sportarten zu finden.

3. Mitgefühl durch aktives Zuhören

Spielerisches Kämpfen lehrt uns, die Schmerzen für uns und andere zu verstehen und welche unterschiedlichen Schmerzgrade es gibt. Dieses Wissen bildet die Grundlage für einen respektvollen Umgang miteinander. Aktives Zuhören ist entscheidend, indem wir unsere eigenen Schmerzgrenzen mitteilen und die unseres Gegners aktiv erkunden. Dies geschieht vor, während und nach dem Kampf. Sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene benötigen manchmal eine erfahrene Begleitperson, die sie unterstützt, indem sie nach individuellen Empfindungen fragt. Dies ermöglicht einen Abgleich zwischen den eigenen und den Empfindungen des Gegners. Offene Gespräche über Bedürfnisse und Einschränkungen können zu einvernehmlichen Anpassungen der Regeln führen, wodurch Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen miteinander kämpfen können.


4. Respektvoller Umgang

Im vorherigen Abschnitt bin ich davon ausgegangen, dass die Kämpfenden automatisch Rücksicht aufeinander nehmen. Doch was passiert, wenn jemand absichtlich Schwächen soweit ausnutzt, dass eine Verletzungsgefahr entsteht oder Emotionen im Kampf hochkochen?


Um dies zu klären, ist es wichtig, die Grundlage zu verstehen. Die Rücksichtnahme basiert auf Respekt gegenüber den Gegnern, was als Achtung vor dem Menschlichen in jedem definiert wird. Beim spielerischen Kämpfen lernen wir, mal stärker und mal schwächer zu sein, ohne Schaden zu nehmen, dank festgelegter Regeln und eines spielerischen Rahmens. Dadurch erleben die Kämpfenden Überlegenheit und Unterlegenheit, ohne überwältigt zu werden.


Es ist natürlich, manche Gegner mehr oder weniger zu mögen, aber der spielerische Rahmen gleicht dies aus. Die Regeln gelten für alle gleichermaßen, und eine erfahrene Begleitperson sorgt für einen positiven Spielfluss. Rücksichtsloses Verhalten kann sofort unterbrochen werden, und der Rahmen ermöglicht Klärungen und Lernmöglichkeiten.


Der spielerische Rahmen fördert Achtung vor dem Menschlichen in allen Menschen, unabhängig von Fähigkeiten oder Sympathien. Wer diesen Rahmen achtet, übt automatisch eine respektvolle Haltung.

5. Frustrationstoleranz

"Augenhöhe im Kampf" bedeutet nicht, dass alle auf dem gleichen Niveau sein müssen. Beim spielerischen Kämpfen gibt es immer Unterschiede in Stärke, Größe und Technik. Die kreative Freiheit ermöglicht es, bewusst ein Kräfteungleichgewicht auszugleichen, z.B., indem mehrere Schwache gegen einen Stärkeren kämpfen.


Auf Augenhöhe kämpfen bedeutet auch nicht, dass es keine Gewinner oder Verlierer gibt. Im spielerischen Kämpfen werden Siege und Niederlagen jedoch auf besondere Weise relativiert. Kein Ergebnis ist endgültig. Die Kämpfenden erleben, was sie bereits können und erkennen, wo sie sich noch verbessern können. Im Vergleich zum reinen Wettkampfsport, bei dem es Risiken für Verletzungen oder Ausschluss aufgrund von Leistungsunterschieden gibt, treten beim spielerischen Kämpfen Leistungsunterschiede weniger ins Gewicht, und Verletzungen sind seltener.


Eine weitere Besonderheit beim spielerischen Kämpfen ist die doppelte Zielsetzung, gegen- und miteinander zu kämpfen, den Partner zu besiegen und auf ihn zu achten. Das endgültige Gewinnen tritt in den Hintergrund, und der Fokus liegt auf dem Weg dorthin. Der Spielfluss und kleinere Zwischenziele werden wichtiger. Jede erreichte Positionsverbesserung ohne Verletzungen ist ein Erfolg, der zu weiteren Zielen führt, bis die Kämpfenden zufrieden und erschöpft sind.


6. Realistische Einschätzung der eigenen Grenzen

Beim spielerischen Kämpfen erfahren die Teilnehmer ihre Grenzen und erweitern sie teilweise. Sie erleben, welche Bewegungen sie ohne Verletzungen machen können und welche Kraft von ihren Gegnern Schmerzen verursacht. Auch wenn Matten als Sicherheit vorhanden sind, spüren sie den Aufprall, wenn sie fallen.



Die realistische Einschätzung der eigenen körperlichen Grenzen verhindert riskantes Verhalten und Übermut. Gleichzeitig reduziert sie übertriebene Ängste und Selbstzweifel. Leichtsinnige gewinnen an Sicherheit, Ängstliche entfalten mehr Potenzial.


7. Realistische Einschätzung von körperlichen Bedrohungen

Spielerisch Kämpfende gehen gemeinsam an ihre Grenzen, lernen ihre eigenen und die Möglichkeiten anderer Menschen kennen, Grenzen anzugreifen. Durch Kämpfe mit verschiedenen Menschen verstehen sie die Bedeutung von Größe, Gewicht, Alter und Technik. Realistische Einschätzungen steigern das Sicherheitsgefühl. Wenn achtsam und respektvoll in einem sicheren Rahmen gekämpft wird, verringert das die einschüchternde Wirkung körperlich überlegener Personen. Dadurch gewinnen sie Selbstbewusstsein und Entspannung im Alltag, was die Gesundheit verbessert.


(zu den negativen Auswirkungen von ständigem Stress informiert u.a. dieser Artikel: https://gesund.bund.de/stress#auf-einen-blick )


8. Angemessene Reaktionen in Selbstverteidigungssituationen

Spielerisch Kämpfende entwickeln eine praxisnahe Einschätzung möglicher Bedrohungen durch andere Menschen. Dieses Erfahrungswissen geht über theoretisches oder oberflächliches Wissen hinaus und ermöglicht angemessene Schutzreaktionen bei Angriffen. Im spielerischen Kampf liegt die Besonderheit darin, dass das Ziel ist, sich gegenseitig zu besiegen. Im Vergleich dazu fehlt dieses Element oft in traditionellen Kampfkunsttrainings, die dadurch eher zu Bewegungskünsten werden.



Das spielerische Kämpfen vermittelt nicht nur das Verständnis für Bewegungsabläufe und wirkende Kräfte, sondern auch, wann und wie diese effektiv eingesetzt werden können. Es fördert ein tieferes Verständnis für Mikrobewegungen, ihre Anwendung gegen unterschiedliche Gegner in verschiedenen Situationen und die damit verbundenen Konsequenzen. Dabei spielen Faktoren wie Hebelgesetze, Körperbeschaffenheit, Beweglichkeit und Körperschwerpunktposition eine Rolle.


Meiner Ansicht nach bietet das spielerische Kämpfen die realistischste und risikoärmste Selbstverteidigungsschulung, vorausgesetzt, es wird regelmäßig unter bewusster Regelsetzung praktiziert und in einem geschützten Rahmen von erfahrenen Trainern begleitet.


Fazit

Spielerisch Kämpfen heißt also, freiwillig, in einem konsequenzvermindernden Rahmen, mit bekannten und akzeptierten Regeln zu kämpfen. Dabei gefördert werden motorische Fähigkeiten, die allgemeine Fitness und mentale Fähigkeiten, wie den Fokus auf das Wesentliche zu richten und eine allgemeine Aufmerksamkeit für dein Umfeld zu behalten. Außerdem lernen spielerisch Kämpfende aktiv und mit allen Sinnen zuzuhören, Respektvoll miteinander umzugehen und die Erfahrungen aus Siegen und Niederlagen zu nutzen. Schließlich entwickeln sie mit zunehmender Erfahrung eine realistische Wahrnehmung der eigenen Grenzen und möglicher Gefahren, sowie die Kompetenz angemessen auf sie zu reagieren.



Diesen Artikel teilen

von Joscha Keiling 14. Februar 2023
In diesem Artikel erfährst du, welchen Nutzen ein umbalgo Training meiner Ansicht nach für dich haben könnte. Da ich selbst Entwickler des umbalgo Ansatzes und überzeugter umbalgo Trainer bin, schreibe ich diese Zeilen natürlich nicht unvoreingenommen. Behalte beim Lesen also eine kritische Haltung. Hinweis: Auf die Besonderheiten Spielerischer Kampfkunst, als dem zentralen Element des umbalgo Trainings, gehe ich in einem extra Artikel ausführlich ein. hier weiterlesen Übersicht Mutig in Kontakt kommen Die eigenen Kräfte entfalten Allgemeine Fitness Koordinationsfähigkeiten verbessern Selbstverteidigung lernen Freude am Spielen Körperwahrnehmung - innere Impulse lesen lernen Stressreduktion durch Co-Regulation Zwischenmenschliche Spannungen erkennen und kompetent reagieren Mit dem ganzen Körper klar kommunizieren lernen